Unter der Leselupe: "Die Leissinger Oma" von Eunike Grahofer

Foto: Frau B.
Die Kräuterpädagogin Eunike Grahofer, die wie ihre fünf Geschwister von ihren Eltern in ihrer Kindheit sehr viel Wissen über Kräuter, Gemüseanbau, Wildgemüse und Heilpflanzen vermittelt bekam, fragte sich auf einer Fastenwanderung zu Ostern durch das Waldviertel, eine Region nördlich von Wien gen Tschechien gelegen, wie früher sich die Menschen bei Erkrankungen dort halfen, wenn der Arzt einerseits weit weg und andererseits auch noch recht teuer war. Was machten sie, wenn sie sich in die Hand beim Holzmachen hackten? Was taten sie bei Keuchhusten oder Prostataproblemen? Und welches Kraut half bei Durchfall?
Auf der Suche nach Antworten interviewte sie alte Leute aus dem Waldviertel, die ihr auf der Bank unter dem Hofbaum oder in der warmen Küche viele Antworten gaben. Schnell wurde der Autorin klar, daß die alten Menschen einen ungeheuer großen Wissens- und Erfahrungsschatz besitzen, den es zu bewahren gilt. Sie schrieb die Interviews auf, zunächst für sich als Material für ihre Arbeit als Kräuterpädagogin. Erst später kam ihr die Idee, diese Sammlung auch anderen Interessierten mittels eines Buches zugänglich zu machen. "Die Leissinger Oma" war geboren.


Was ist nun das Faszinierende an dem Buch?


Es ist schlichtweg ein Lesebuch, das die Gespräche in Erzählform mit vier alten Leuten wiedergibt. Die Leissinger Oma aus dem Titel macht den Anfang, dann folgt Betty, Roswitha und zum Schluß Walter und die Paula Tante. Jede Person steht für ein Hauptkapitel. Ihre Erzählungen und ihr Heilkräuterwissen gliedern sich in kürzeren Leseabschnitten, in denen eine Pflanze den Fokus der Geschichte bildet.
Foto: Frau B.
Aber es geht nicht nur um Heilpflanzen, sondern vielmehr auch um die vier Personen, um ihren Charakter, ihre Biographie, ihre Erinnerungen und um die Lebensumstände in den vergangenen Zeiten. Als Leser erfährt man vielmehr als nur die bloße Wirkung von Heilpflanzen. Man taucht tief ein in eine Welt, die aus viel Arbeit, Gottesfurcht, Bodenständigkeit und Lebenslust bestand. Eunike Grahofer versteht es dank ihres lebendigen Sprachstils exzellent, diese Erinnerungen stimmungsvoll und plastisch wiederzugeben.
Foto: Frau B.
Fast ist es, als wäre man live bei den Gesprächen dabei. Langeweile kommt beim Lesen überhaupt nicht auf. Im Gegenteil. Es war dieses Buch, daß in mir das Kribbeln nach dem Heilkräutersammeln, nach der Herstellung von Salbe auslöste. Das Buch macht Lust und Laune, sich näher mit Heilpflanzen zu beschäftigen, den Schätzen der Natur sowie dem Wissen und Erfahrungsschatz der Alten mit tiefem Respekt zu begegnen und in ein Lebensgefühl zu tauchen, das auf eine heute von Vielen sehnsuchtsvoll gesuchte Verwurzelung in Heimat und Bodenständigkeit gründet. Ich war sehr beeindruckt, wieviel die Leute früher einfach aus den Lebensumständen heraus an Kranksein und Schmerzen aushielten. Weil sie es mußten. Weil der Arzt zu weit weg war und auch zu teuer. Das Buch macht mir wieder bewußt, wie dankbar ich heute für die medizinische Versorgung bin. Es hinterläßt in mir eine tiefe Demut.
Foto: Frau B.
Helmut Hunger steuerte der "Leissinger Oma" wunderschöne Illustrationen aus dem Waldviertel bei, die fabelhaft zum Tenor des Buches passen. Am Schluß des Buches sind alle Rezepte noch einmal alphabetisch aufgeführt. Schnell merkt man beim Durchlesen der Zutaten, daß es für die Herstellung wirksamer Tees, Salben und Umschläge nicht viel braucht. Als einziges Manko des Buches habe ich die Nennung der Heilpflanzen empfunden. Sie sind hauptsächlich in der mundartlichen Bezeichnung der interviewten Leute genannt. Für Nichteinheimische, die das Gros der Leserschaft ausmacht, ist es dann schwer, sie zu identifizieren. Hier wäre die botanische Bezeichnung - und sei es im Anhang als Liste - hilfreich gewesen.

Fazit: Wer als Kräuter- und Heilpflanzenfreund ein Buch abseits der bekannten Kräuterlexika sucht, der findet in der "Leissinger Oma" einen wahren Schatz. Und für alle Gehetzten und Nervösen in unsriger Zeit sei dieses Buch als kraftschöpfende, stille Quelle ans Herz gelegt.

Eunike Grahofer: Die Leissinger Oma. Das Pflanzenwissen der einfachen Leut - Erzählungen und Rezepte aus Waldviertler Familien
Freya Verlag, Linz 2013
ISBN: 978-3990251034
Ausstattung: 260 Seiten, mit farbigen Zeichnungen
Illustration: Helmut Hunger
Preis: 19,90 €

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Diese Rezension erschien erstmals auf meinem alten Blog alltagsmix.

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