Angeschaut: "Landstück" von Volker Koepp

Da oben, in der Uckermark, dort nördlich von Berlin gen Mecklenburg-Vorpommern, dort wo es irgendwie öde ist und langweilig und nichts los, dort passiert doch nichts. Warum drehte da bloß Volker Koepp, langjähriger Dokumentarfilmer, den Dokumentarfilm "Landstück"? Warum sollte man ihn ansehen?

Schleichende Umwälzung in der Uckermark

Volker Koepp arbeitet seit den 1970er Jahren als Dokumentarfilmer. Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Ostseeküste bis hoch nach Litauen und Lettland oder die Geschichte von Dörfern und Menschen auf dem Land. Seine filmische Handschrift erkennt man sofort: freier Blick in die Landschaft, längere Einstellungen, ruhiger Grundton, langsamer Schnitt, das Einfangen des Lichtspiels, die Aufnahmen von Wind, Rauschen, Tönen der Arbeit, wenig Erzählertext, lange Porträteinstellungen. Nichts ist hektisch. Koepp schaut mit der Kamera in die Landschaft, beobachtet die Menschen, zeigt sie in langen Sequenzen. Es ist ruhig, Koepp hat Zeit und fängt so die leisen Untertöne ein, die nachdrücklich im Zuschauer wirken. Ein Koepp-Film erkennt man sofort.

Wem gehört das Land?

Mehr als in den Jahren zuvor wird Koepp mit seinem 2016 bei Edition Salzgeber erschienen Film "Landstück" politisch. Es ist Porträt der Uckermark und die Dokumentation einer recht unbeachteten Umwälzung zugleich.

Die Uckermark, nördlich vor Berlin gen Nordosten gelegen, ist eine dünn besiedelte, landwirtschaftlich geprägte Landschaft. Sie fällt im geografischen Bewußtsein kaum auf. Sie ist die Durchreisestation zu den Ostseebädern.
In dieser Landschaft geschieht jedoch eine schleichende Umwälzung, leise, kaum beachtet, die Volker Koepp im Film nachgeht. Lange war die Uckermark landwirtschaftlich von Altbauern und ostelbischen adligen Gutsgehöften geprägt. Nach dem 2. Weltkrieg brachen Umwälzungen ein. Die Adligen wurden gemäß der politischen Leitlinie/Doktrin der SBZ bzw. DDR enteignet, die Bodenreform stand an, später dann auch die Zwangskollektivierung der Altbauern bei der Gründung der LPG bis Anfang der 1960er Jahre. Vertriebene der ostdeutschen Gebiete nach 1945 wurden in der Uckermark angesiedelt. Man möge sich diese Umstülpung gewachsener sozial-gesellschaftlicher Verhältnisse im Besitz, im politischen Leben, in der gesellschaftlichen Bedeutung, in der Zuweisung von Arbeit und Wohnraum vorstellen.
Der nächste große Umbruch erfolge mit der Wende. Rückführung von (Boden)Eigentum an Altbesitzer, das Staatseigentum der DDR (landwirtschaftliche Flächen, Betriebe, Gebäude, Wälder) wurde in die Treuhandanstalt übergeführt, ab 1992 durch die Bodenverwertungs- und Verwaltungs GmbH, die Äcker, Wälder und Seen verwaltet, verpachtet und verkauft. Seit dieser Zeit hat der Bund damit mehr als 6,5 Milliarden Euro eingenommen, allein 2014 mehr als eine halbe Milliarde mit dem Verkauf von 34.000 Hektar Landwirtschafts- und 13.000 Hektar Forstfläche.
Für die Menschen vor Ort bedeutet es ein Umbruch: alte Betriebsstätten mußten schließen, neue weisen weniger Arbeitsplätze vor, bedeutet Landflucht vor allem der jungen Menschen. Der Nachwuchs fehlt, Alte bleiben zurück.

Verschärfung durch "Lust am Ackergold"

Nun verschärft sich die Situation durch die "Lust am Ackergold". Die Bodenpreise steigen rasant an, auch wenn sie im Vergleich noch unter denen in den alten Bundesländern liegen. Durch die Krise an den Kapitalmärkten werden die landwirtschaftlichen Flächen auch für branchenfremde Investoren interessant, die in landwirtschaftliche Unternehmen einsteigen, Ackerflächen kaufen und konventionell bewirtschaften. Meist stammen die Investoren nicht aus der Region. Zum Kapitalaufbau reichte es für die lokalen Landwirte in den letzten 70 Jahren niemals.
Oder lokale Bauern verkaufen aus Altersgründen ihr Land, um sich ein wenig Luxus wie Urlaubsreisen zu gönnen.

Was geschieht mit der Natur?

Nun mag diese Veränderung an sich noch nicht die ganze Explosionskraft haben. Doch dies ändert sich, als Koepp im Film nach dem Umgang mit der Natur schaut. In leisen, zunehmend konzentrierten Blicken geht er mit seinen Interviewpartnern wie Prof. em. Dr. Michael Succow der Frage nach dem Umgang mit der Natur nach. Was wird angebaut? Wie wird es angebaut? Welche Tiere gibt es? Welche Pflanzen? Wie sind die Betriebe organisiert? Koepp spricht viel mit lokalen Bio-Bauern, über ihre Geschichte, ihre Motivation, ihre Erfahrung. Von hier aus hat er den Blick auf die Fragen. Diese Positionierung mag einseitig sein, doch zeigt sie sein Anliegen in der Gänze.
Wie können lokale Bauern das Land nachhaltig bewirtschaften? Was heißt Landwirtschaft, ob konventionell oder biologisch, für die Natur? Welche Veränderungen in der Natur (Rückgang der Beikräuter, Rückgang der Insekten, des Vogelbestandes usw.) sind feststellbar.
Koepp geht hier keine stringente, dramaturgische Linie, er beobachtet mehr im Gespräch. Doch Stück für Stück ergibt sich ein brisanter Umgang. Konventionelle Landwirtschaft als hochspezialisierte Industrie, die nur wenig Beziehungen zu den Menschen vor Ort (Arbeitsplätze) und der Natur schafft. Eingebettet in eine globale Struktur, bei der man nur den Kopf schüttelt (wenn in Südamerika auf riesigen Flächen in Monokultur Soja angebaut wird, per Schiff nach Deutschland zur Verfütterung an beispielsweise Masthühner transportiert wird, dessen beste Fleischstücke nach der Schlachtung billig im Supermarkt verkauft wird und der Rest nach Afrika verschifft wird und dort lokale Hühnerproduktion zusammenbrechen).
Nicht plakativ arbeitet Koepp, sondern seziert Stück für Stück die Problematik. Er zeigt die Vermischung vieler Fragen, ihre Abhängigkeit voneinander: Heimat, Landwirtschaft, Umgang mit der Natur, Vergangenheit und Gegenwart. Koepp sucht nicht nach der Lösung, sondern beobachtet. Er will beim Zuschauer ein Nachdenken anregen. Mit seiner ruhigen dokumentarisch-epischen Art, den vielen Blicken auf die Landschaft, den Rückblenden auf ältere Dokumentarfilme, die den Erzähler ersetzen, schafft er eine tiefe Berührung beim Zuschauer. Dieser wird mit dem Film ruhiger, konzentrierter und berührter. Und er fragt sich: ist diese Landschaft noch Heimat für die Menschen vor Ort, für die Natur? Wie schaffen wir wieder einen guten Umgang mit der Natur und gleichzeitig eine produktive Landwirtschaft? Welche wirtschaftliche Alternativen (genossenschaftliche Kooperationen) können naturbeachtendes Wirtschaften vereinen? Sind die grünen Landschaften wirklich Lebensräume?
Die Bilder sind betrachtend, poetisch, die Landschaft einfangend. Unterhaltsame, auch mal witzige Unterbrechungen sind dann Anekdoten, wie die des Ohrenwackelns von Michael Succow.
Ein wenig schade ist es, daß die Interviewpartner kaum eingeführt werden. Untertitel ihres Namens, ihrer Tätigkeit zur kurzen Orientierung wären gut gewesen. Leider hat man nicht immer schnell die mündlich genannten Namen verstanden.

Politisch, berührend, nachdenklich ist der Film "Landstück" von Volker Koepp. Er rückt einen kaum beachteten Landstrich ins politische Bewußtsein und zeigt an diesem unseren gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Zustand.

Volker Koepp: Landstück
Edition Salzgeber, 2016
Filmlänge: 122 Minuten
Kamera: Lotta Kilian
Ton: Andy Michaelis
Filmmusik: Ulrike Haage

Mehr Informationen auf der Webseite der Edition Salzgeber.

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