Unter der Leselupe: "Vögel füttern - aber richtig" von Peter Berthold und Gabriele Mohr


 "Vögel füttern - aber richtig" von Peter Berthold und Gabriele Mohr
Wer sich mit der aktuellen Situation unserer Vogelwelt näher beschäftigt, stößt recht schnell auf alarmierende Studien. Bis zu 80 % an Populationsrückgang hat man in den letzten 150 Jahren bei den heimischen Vogelarten festgestellt. Dabei sind nicht nur heute seltene, ja fast ausgestorbene Arten wie das Rebhuhn oder der Wiedehopf darunter zu finden, sondern auch Allerweltsarten wie der Spatz oder der Star sind in ihrem Aufkommen sehr stark zurückgegangen. Grund dafür ist neben der Zerstörung der natürlichen Lebensräume auch der Rückgang an Insekten und Sämereien durch aufgeräumte Landschaften sowohl in der Landwirtschaft als auch in den Hausgärten sowie der indirekte Einfluß der Lichtverschmutzung (zu allererst auf die Insekten als Nahrungsgrundlage für die Vögel).
Peter Berthold, bekannter Ornithologe, hat es als den Einzug des stummen Frühlings betitelt (1987 das erste Mal in einer Pressemitteilung der Max-Planck-Gesellschaft). Gemeinsam mit seiner Frau Gabriele Mohr hat er 2005 das Sachbuch "Vögel füttern - aber richtig" herausgebracht, das die Grundsteinlegung für ganzjähriges Füttern in der breiten Bevölkerungsschicht gelegt hat.
Aus seinen wissenschaftlichen Studien und seiner praktischen Tätigkeit als Ornithologe beispielsweise bei der Beringung oder Vogelzählung weiß Berthold sehr genau um die dramatische Situation der Vögel, die als sichtbarer Indikator für den Zustand unserer Natur und Umwelt gelten. Denn wer beschäftigt sich schon näher mit der Lebenssituation von Flechten, Algen oder Kleinstinsekten? Vögel sind für den Otto-Normal-Verbraucher greifbarer, auch emotionaler wird er von ihnen stärker angesprochen. Er sieht sie, er hört sie.
Berthold und Mohr kamen vor mehr als 13 Jahren auf ihre Buchidee, als große Naturschutzverbände wie NABU das Füttern der Vögel, vor allem ganzjährig, als unrechtmäßigen Eingriff in die Naturkreisläufe verurteilten und mehr oder wenige direkt davon abrieten. Beide Autoren halten dagegen, daß dieser Eingriff absolut notwendig ist: der Mensch hat den natürlichen Lebensraum der Vögel, ihre Nahrungsgrundlagen und Brut- sowie Lebenshabitate dermaßen stark beeinträchtigt, ja zerstört, daß ihr grundlegendes Aufkommen gefährdet, ja für einige Arten schon zerstört worden ist. Was kann man also für die Vögel ganz pragmatisch tun? Denn diese Einstellung vertreten beide Autoren trotz allem sehr optimistisch. Sie glauben, und dies manifestiert sich in ihrem Buch, daß mit Hilfe vieler Menschen den Vögeln und letztlich der Natur geholfen werden kann.

Beide haben ihr Buch ganz im Zeichen der praktischen Hilfe aufgebaut. Im ersten Kapitel gehen sie der Frage der Bestandsbedrohung und der Abhilfen (Biotopverbünde gründen, naturnahe Gärten, Landwirtschaft ein Stückweit reökologisieren, ganzjährige Fütterung wie in anderen Ländern (USA, Großbritannien) üblich ist) nach. Mit vielen Grafiken und Studienergebnissen präsentieren sie ihr Wissen anschaulich und eindringlich. Dann geht es gleich in die Vollen: wie sieht es mit dem Futterbedarf der Vögel saisonal aus? Auch hier erklären sie die Grundlagen bei Stand- und Zugvögeln, wann welcher Energiebedarf ist (beispielsweise im Sommer zur Brutzeit). Anschließend geht es um die wissenschaftlichen Grundlagen des Vogelfütterns. Hier schöpfen beide aus ihren jahrzehntelangen praktischen Erfahrungen an der Vogelwarte Radolffzell bzw. aus ihrem Privatgarten und Streuobstwiese. Sie zeigen auf, wie Vogelpopulationen bestimmter Arten von Null auf 50 Brutpaare (Sperling) sich erhöhten, klären über die Verbreitung von Krankheitserregern durch Vogelfütterung auf, Art der Futteraufnahme nach Arten (mehrmals am Tag Wechsel Futterhaus und bei natürlichen Ressourcen bei Amseln und Meisen beispielsweise), Zugewinn bei der Brutaufzucht, Stärkung im Winter, Einfluß der Ablenkungsfütterung zugunsten der Landwirtschaft uvm. Es ist beeindruckend, mit welcher wissenschaftlichen Akribie beide die ganzjährige Vogelfütterung unter vielen Aspekten erforschten. Hier merkt man, daß es keine Spinnerei ist, sondern angewandte Forschung gepaart mit Leidenschaft.
Die folgenden Kapitel stellen die Grundlage fürs ganzjährige Vögelfüttern: welche Futterhäuschen oder -silos geeignet sind, Standortfrage, Pflege, Zusammensetzung der Vogelnahrung für einzelne Arten. Vorzüglich ist es, daß hier nicht dogmatisch an das Thema herangegangen wird. Berthold und Mohr sagen, jede regelmäßige Fütterung ist ein Baustein im Naturschutz. Wer mehr geben kann, kann es gerne, wer regelmäßig, aber nur wenig soll sich kein schlechtes Gewissen machen. Hauptsache er gibt. (Aus eigener Erfahrung: ich füttere Sonnenblumenkerne und in Fett getränkte Haferflocken jeden Tag mindestens einmal mit hohem Aufkommen an Kohl- und Blaumeisen, Eichelhäher, Dompfaff, Amsel, Grünfink, Spatzen, Buntspecht, Zeisig, Buchfink, Kleiber, Tauben uvm.). Sie geben praktische Hinweise zum Herstellen von eigenem Vogelfutter, erklären Hygienemaßnahmen und rechtliche Grundlagen, erläutern ergänzende Vogelschutzmaßnahmen wie das Anbringen von Nistkästen, naturnahe Gärten, den Verlauf in der Ganzjahresfütterung (Höhepunkt in den Sommermonaten zur Brutzeit)  und Ursachen fürs Wegbleiben.
Im vierten Kapitel stellen Berthold und Mohr bekannte Vogelarten an der Futterstelle in kleinen Porträts vor, wobei sie erläutern, welches Futter welche Vogelart benötigt.
Das ganze Buch ist mit lebendigen, grandiosen Bildern von Vögeln an Futterstellen illustriert. Es macht eine Freude, allein die Bilder anzuschauen. Diagramme belegen visuell die Aussagen der Autoren. Der erzählende, klare Tonfall, der von der brennenden Leidenschaft fürs Thema, von der eindeutigen Position der Autoren und ihrem Pragmatismus zeugt, läßt das Buch mit Leichtigkeit lesen. Verständlichkeit und klare Ansagen stehen an oberster Stelle.
Braucht es ein Buch über Vögelfüttern? Für Anhänger, Naturfreunde und Vogelliebhaber ist es eine Fundgrube an Argumenten in der Diskussion, an wunderschönen Fotos und weiterführenden Hinweisen. Für Zweifler ist es ein beherztes Entscheidungsbuch fürs ganzjährige Füttern. Wer nach der Lektüre dies noch verneint, hat das Buch wohl nicht richtig gelesen. Ein großer Pluspunkt ist der Pragmatismus der Autoren gepaart mit einer tiefen Leidenschaft fürs Thema. Es ist ein Buch für die Vögel, für den Naturschutz im Kleinen abseits politischer Lippenbekenntnisse. Es ist ein Grundlagenbuch und sollte unbedingt auch Eingang in den Schulunterricht finden!
Peter Berthold und Gabriele Mohr: Vögel füttern - aber richtig
Kosmos Verlag, 4. Aufl., Stuttgart 2017
ISBN: 978-3440156933
Ausstattung: 176 Seiten, Softcover
Preis: 9,99 €

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